Heute feiert diese Kolumne gleich zwei Premieren: Mit dem Ostermontag erscheint sie erstmals an einem Feiertag sowie erstmals am 1. April. Aber keine Angst: Ich werde Sie jetzt nicht scherzhaft in den April schicken – und auch die seit Jahren immer mal wieder aufkeimende Debatte um die Abschaffung einiger Feiertage in Deutschland werde ich heute nur am Rande streifen. Warum? Weil es deutlich wichtigere Themen gibt. Vor allem der dank der Einigung von GDL und Bahn neue Fahrt aufgenommene Streit um die 35-Stunden-Woche, die zunehmende Selbstausbeutung von jungen Gründerinnen und Gründern und von Führungskräften – und was das alles mit falsch verstandenem Heldentum zu tun hat.
Wer sich trotzdem angesichts der in Mai und Juni bevorstehenden Feier- und Brückentage gerne intensiver mit Stichworten wie Flexi Feiertage oder Floating Holidays beschäftigen möchte, dem sei der Beitrag Sind die Feiertage in Deutschland noch zeitgemäß? empfohlen. Wer sich stattdessen fragt: Haben wir gerade keine anderen Sorgen? Dem sei versichert: Die Feiertagsdebatte ist schon ziemlich alt und kommt bis heute nicht so richtig in die Gänge. Vielleicht tatsächlich aus genau dem Grund, dass wir in der Arbeitswelt gerade drängendere Sorgen haben.
35-Stunden-Woche braucht Differenzierung
Beispielsweise die Debatte um die 35-Stunden-Woche, eines der drängendsten Themen überhaupt. Sie wird Wirtschaft, Politik und Gesellschaft mit Sicherheit noch sehr lange beschäftigen, hat das Potenzial für noch viele harte Kämpfe und braucht deshalb dringen Differenzierung. Die Einigung von GDL und Bahn kurz vor Ostern zeigt dies einmal mehr deutlich.
Inga Dransfeld-Haase, Vorständin für Arbeit und Soziales BP Deutschland sowie Präsidentin des Bundesverbands der Personalmanager*innen und somit eine der profiliertesten Personalerinnnen, schreibt dazu auf LinkedIn: „Bei nüchternerer Betrachtung ist es mittel- bis langfristig meines Erachtens in Deutschland ohne Wohlstandsverlust nicht möglich (…), dass wir alle kollektiv weniger arbeiten werden.“ Ihre Argumente und die von ihr angestoßene Debatte sind zum Nachlesen unbedingt empfehlenswert.
„Selbstausbeutung ist keine Frage des Alters“
Nicht weniger drängend sind gerade ein paar Zahlen, die kein gutes Licht auf den Zustand unserer Arbeitswelt beziehungsweise auf die allgemeine Verfassung der Beschäftigten und Führungskräfte werfen. Ich rede von der wachsenden Zahl von Selbstausbeutern unter Start-up-Mitarbeitenden, der Burnout-Zunahme bei Führungskräften und dem Anstieg der Quiet Quitter unter deutschen Beschäftigten.
Ich habe deshalb die Osterfeiertage zum Anlass genommen, darüber mit Kara Pientka zu sprechen. Sie ist Inhaberin des Inhesa Instituts für Health & Self Care und seit über 20 Jahren Business Health Coach. Vor allem einen Satz von ihr sollten wir alle uns nicht nur hinter die Osterohren schrieben: „Es ist eine Frage der Professionalität, gut für sich selbst zu sorgen“.
Und hier das ganze Interview mit Kara Pientka:
Frau Pientka, Sie schreiben gerade ein Buch über „Selfcare für Führungskräfte“. Unser Eindruck ist allerdings: Selfcare tut vor allem bei jungen, aufstrebenden Leuten aus der Gründer- und Start-up-Szene Not, die sich in den sozialen Medien mit ihrem „always-on und 24/7“-Lifestyle brüsten. Wächst da gerade eine neue Generation Selbstausbeuter heran?
Kara Pientka: Selbstausbeutung ist keine Frage des Alters. Ich erlebe sie in allen Generationen. „Always on“ hat auch nichts mit der tatsächlichen Arbeitszeit zu tun. Es ist eine innere Haltung und Identifikation, in der ich glaube, immer für alles und zu jeder Zeit perfekte Lösungen in alleiniger Verantwortung anbieten zu müssen. Ich werde zum perfekten Bedürfnisbefriediger für Andere und vernachlässige mich dann irgendwann komplett selbst. Ich nenne das gerne die Superheldenhaltung, in die viele Gern- und Vielleister hineinrutschen. Die Folge ist eine Art Over-Pacing, bei dem ich hektisch und fahrig werde und meinen eigenen Ansprüchen immer hinterherhinke.
Das hört sich nicht gesund an.
KP: Dieser Zustand ist anstrengend, und er ist auch nicht leicht zu unterbrechen. Persönliche Grenzen gibt es aus der Innensicht eines Superhelden nicht. Selbstausbeutung entsteht also, wenn von außen viel gefordert wird und ich innerlich in den ausweglosen Strudel gerate, alles auf höchstem Niveau alleine jonglieren zu müssen.
Was raten Sie diesen Menschen, um nicht auszubrennen?
KP: Selbsttreue! Nur wer sich auf den Weg macht, sich selbst gut zu erforschen und sich ein Leben und ein Arbeitsleben zu schaffen, das zum eigenen Wesen passt, wird nicht ausbrennen. Der wichtigste Hebel dabei ist, genau zu prüfen, wessen Drehbuch ich gerade lebe. Fremdbestimmte Drehbücher können von Eltern oder anderen Bezugspersonen stammen, heutzutage aber auch stark von sozialen Medien. Nach fremden Drehbüchern und fremden Werten zu leben macht auf Dauer unglücklich und kann sogar krank machen.
Viele Studien belegen, dass vor allem der Druck auf Führungskräfte wächst. Wie erleben Sie das konkret bei Ihren Klienten?
KP: Ich arbeite seit über 25 Jahren mit Führungskräften, und Stress und Druck zu bewältigen, gehörte immer dazu. Heute nehme ich aber eine Dimension der Belastung wahr, die weit über das hinausgeht, was ich je erlebt habe. Ich bin davon überzeugt, dass Führungskräfte nicht weniger belastbar sind als früher, sie haben nur definitiv komplexere Aufgaben zu bewältigen. Führungskräfte sind heute neben der täglichen Arbeit und den zu gestaltenden Veränderungsprozessen auch verantwortlich, die unterschiedlichsten Menschen durch die permanenten Veränderungen mitzunehmen. Auch das Thema der Mitarbeiterbindung spielt hier mittlerweile eine große Rolle. An dieser Stelle fehlt es oft an entsprechenden Qualifikationen. Die vermeintlichen Softskills der coachenden Führungskommunikation sollte theoretisch jeder beherrschen. Aber das ist oft nicht der Fall.
Warum nicht?
KP: Menschen durch Veränderungen zu begleiten, ist nicht so einfach wie man es in einer mechanistischen Betrachtung alter Management-Denke gerne darstellt und man macht das auch nicht nebenbei. Menschen sind nun einmal keine Maschinen mit einem On/Off-Schalter. Wir sind sensible und störanfällige Wesen. Es tauchen bei allen Veränderungsprozessen irrationale Ängste und andere Stressmuster auf. Diese gilt es als Führungskraft zu erkennen und professionell zu moderieren. Aber die operative Agenda ist immer noch so voll wie vorher. Es bräuchte eigentlich Zeit, die Menschen mitzunehmen. Nicht ewig, aber es braucht Zeit.
Katharina Koch, promovierte klinische Psychologin und Neurowissenschaftlerin, rät Führungskräften in der aktuellen Ausgabe von „Human Ressources Manager“: „Setzen Sie Ihre eigene Sauerstoffmaske auf, bevor Sie anderen helfen.“ Einfacher gesagt, als getan, oder?
KP: Das ist wirklich nicht einfach. Natürlich haben wir Führungskräfte enorme Fliehkräfte, die uns von uns selbst wegziehen, einfach weil es so viele Stakeholder gibt, deren Bedürfnisse wir befriedigen wollen oder müssen. Gerade deshalb ist die Notwendigkeit einer wirksamen Verankerung in sich selbst zentral, wenn ich gesund bleiben will. Es ist also eine Frage der Professionalität, gut für sich selbst zu sorgen, und kein „nice to have“.
Laut einer aktuellen Gallup-Umfrage haben mittlerweile 19 Prozent der Beschäftigten in Deutschland „keine Bindung“ mehr zu ihrem Arbeitgeber. Ist das Phänomen der inneren Kündigung auch ein großes Thema bei Führungskräften?
KP: Die knapp 20 Prozent halte ich für realistisch, wahrscheinlich liegt der Anteil noch etwas höher. Ein echter Austausch zwischen den Unternehmen und ihren Führungskräften ist noch nicht richtig verankert. Das hängt mit der alten Kultur des Misstrauens aus früheren Jahrzehnten zusammen. Über Emotionen zu sprechen war in der alten Managementwelt tabu und ist mancherorts immer noch die Art des Denkens und Handelns. So werden der Frust und die Wechselabsichten unter der Decke gehalten. Das wird sich erst nach und nach auflösen, wenn wir eine echte Vertrauenskultur etabliert haben und es uns gelingt, durch gute Gespräche spürbare Veränderungen in unserer Arbeitswelt zu erreichen.
Was müssen Unternehmen tun, um ihre Führungskräfte vor Burnout zu schützen?
KP: Sie müssen den Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und Menschlichkeit schaffen. Führungskräfte (und natürlich auch Mitarbeitende) bleiben dann gesund, wenn sie im Einklang mit ihrem Mensch sein arbeiten können und eine Unternehmensstruktur und -kultur vorfinden, die dies ermöglicht und nicht torpediert. Unternehmen müssen sich zu einem Raum der Produktivität und der menschlichen Entfaltung wandeln. Ich plädiere für noch konsequentere kreative Kooperationsprozesse zwischen Unternehmen und aufgeschlossenen Führungskräften. Eigene Kreativ-Hubs zu gesunder Führung. Im Coaching sagen wir immer: Jeder Mensch ist Experte seines Lebens. Führungskräfte wissen am besten, in welchem Unternehmen sie arbeiten wollen und welche Veränderungen es bräuchte, damit es wieder runder läuft. Das sollte man nutzen.
Und was raten Sie Führungskräften zur eigenen Burnout-Prävention?
KP: Meine wichtigste Empfehlung: Hören Sie auf, in Quickwins und Druck auslösenden Bulletpoints zu denken. Das Einfallstor für Burnout ist die Abkoppelung von sich selbst und den eigenen Bedürfnissen. Mentale Hygiene ist sehr wichtig, wenn wir mit unseren Kräften haushalten wollen. Mentale Hygiene gehört zum Führungsalltag wie das Checken der E-Mails.
Ganz ohne Zynismus: Coaches wie Sie leben sehr gut von dem wachsenden Stress in der Arbeitswelt. Werden die Burnout-Zahlen mittelfristig wieder sinken?
KP: Wir leben in einer fundamentalen Umbruchzeit. Burnout-Zahlen werden nur dann mittelfristig sinken, wenn wir organisational und individuell nachhaltige Lösungen finden, um Wirtschaftlichkeit und Menschlichkeit miteinander in Einklang zu bringen. Hier haben wir noch eine gute Strecke zu gehen. Wenn wir uns bewusst sind, dass Transformationen länger dauern kann, können wir uns etwas entspannen und einfach unseren guten Beitrag dazu leisten.
Vielen Dank für das Gespräch.
In diesem Sinne: Eine möglichst entspannte Woche – und bleiben Sie gut drauf!